REPORTAGEN
Der Sound lebt nicht vom Dezibel allein
Giardini Di Miró [ September 2003 ]

Dunkle Wolken ziehen am tiefblauen Horizont auf. Wie eine schwarze Rauchschwade zieht sich die Dunkelheit langsam über den Abendhimmel und verschlingt die Atmosphäre des Tages. Die Luft riecht nach Regen, Menschen flüchten in Cafés, spannen hektisch ihre Regenschirme auf, suchen Schutz in den Eingängen der Häuser. Der Himmel stösst einige kurze Donnerworte aus, bevor der erste Regen fällt und die kalten Tropfen auf meiner Haut aufschlagen. Die abendliche Kälte wird durch den Regen verstärkt, und auch der mir ins Gesicht peitschende Wind trägt nun seinen Teil zu diesem ungemütlichen Wetter bei. Der plötzliche Regenfall, gepaart mit den Geräuschen und der Dunkelheit des Himmels, die menschenleeren Strassen, spärlich beleuchtet von den Strassenlaternen, geben der Situation etwas apokalyptisches und gleichzeitig sehr schönes.

Ich suche Zuflucht in einer Telefonzelle und warte auf einen Anruf von Johannes von 2.nd rec, Giardini di Mirós (GdM) Plattenfirma. Ich werde die italienische Band heute abend live sehen und vorher interviewen. Die Band, die mit ihrem aktuellen Album "Punk... Not Diet" soetwas wie ein Meisterwerk elegischer Gitarrenmusik geschaffen hat. Pink Floyd Italian Style. Mir fehlt noch der Zeitpunkt. Den Anruf erwarte ich auf meinem Handy, in einer Telefonzelle. Das Bild gefällt mir, aber kein Klingelton stört das Klopfen der Regentropfen. Zeit für einen Gedanken. Wen rufe ich an, wenn jetzt die Welt unterginge? Meine Kleidung ist völlig durchnässt. Ich wünschte, ich wäre in Italien, dem Heimatland der Jungs von GdM, und würde sie dort am Strand mit einem Cocktail (inkl. Schirmchen) in der Hand interviewen. Hier in Hamburg ist der Sommer jedoch definitiv vorbei. Ich beobachte die Leute, wie sie, mit ihren über den Kopf gezogenen Jacken, an mir vorbeirennen. Der erste starke Regenfall, die Cafés räumen schon früh am Abend ihre Stühle ein: Herbst, sei herzlichst willkommen!

Der Horizont erscheint mir als passende Freiluftkulisse für ein Giardini di Miró Open Air Konzert. Die getragenen, atmosphärischen Klänge der melancholischen Songs gäben der Farbe des Himmels sicherlich eine würdige Stimme. Und das trotz eines Albumtitels, der "Punk... Not Diet" tönt. Das klingt wie das erwartete Gewitter, das sich gerade noch anbahnte und dann nur ein Regen war; einer, der Lust macht spazierenzugehen. Ich ziehe die Kapuze meines Pullovers über und schlendere die Reeperbahn hinunter. Hier sind die grell leuchtenden Neonschriftzüge der Sexshops und Pornokinos so natürlich wie das Moos im Wald. Die, jetzt leicht fröstelnden, Mädchen in ihren Moonboots gehören hierher. Niemand würde etwas anderes erwarten. Da haben es GdM nicht so leicht. Sie sind gemacht für Missverständnisse.

Der Wind pfeift seine altbekannten Lieder in mein Gesicht, als ich schnellen Schrittes das Molotow betrete. Vorbei an einigen Konzertbesuchern, die an ihrem Bierflaschen nuckeln und dem Regen trotzen. Ich will endlich wärmere Töne. Das Molotow hat wohl ungefähr die Grösse einer Dorfdisco, die Dorfbewohnern wahrscheinlich riesig erscheinen dürfte, für Stadtbewohner jedoch gerade reicht, um die eigene Spannweite zu überprüfen. Über eine kleine Treppe gelangt man ins Molotow. Neben einer Bar und diversen Sitzgelegenheiten befindet sich dort auch ein Kicker. Auf der rechten Seite geht es zu einem kleinen Bühnenraum, der in Kürze zumindest sieben italienische Musiker und einen Reporter fassen muss.

Ich setze mich und beobachte zwei gutgekleidete Jungs, die gegen zwei gutgekleidete Mädchen eine Runde Tischfussball spielen, und alle vier erwecken den Eindruck als seien sie auf der falschen Veranstaltung gelandet. Das übrige Publikum ist eine Mixtur aus der alternativen Trainingsjacken/Cordhosen Fraktion und den Mitdreissigern mit trendiger Brille und ernster Miene. Dazu kommt noch eine winzige Prise durchgestylter Szenetypen, die sich unter Giardini di Miró vielleicht einen italienischen Designer vorgestellt haben, der seine neue Kollektion vorstellt. Na ja, man hat so seine Klischees, wenn es um Italien geht.

Giardini Di MiróEndlich klingelt mein Handy. Ich könnte die Jungs jetzt treffen, sie seien im Molotow angekommen, sagt Johannes. Noch bevor ich mich wundere, wie die an mir vorbeigekommen sind, steckt jemand seinen Kopf durch eine Tür neben der Bühne und wirft suchende Blicke in den Raum. Es ist Johannes. Wie erwartet, befindet sich hinter der kleinen Tür auch ein kleiner Raum, der wohl weniger ein Bandraum, als eine Abstellkammer ist. Aber so ist es in den kleinen Clubs. Gegenüber der Tür sind Papierhandtuchrollen zu Türmen gestapelt, gleich daneben stehen Besen und andere Putzutensilien. Es riecht muffig, die Luft steht regelrecht. Die Band sitzt und steht um einen winzigen Tisch herum, auf dem ein farbenfroher Teller mit Obst platziert ist, der dem Raum wohl ein wenig Wärme verleihen soll.

Fünf freundliche Gesichter begrüssen mich, Hände werden geschüttelt, Gitarrist Corrado erhebt sich von einem schwarzen Plastikstuhl und bietet mir seinen Platz an. Nur Drummer Francesco fehlt, aber nach kurzer Absprache der Band scheint das nicht weiter tragisch zu sein, Jukka und Corrado werden sich mit mir unterhalten. Corrado füllt sein Glas ausreichend mit Rotwein und nimmt einen kräftigen Schluck. Mit einem breiten Grinsen bietet er mir auch ein Glas an, bevor er die Flasche an Sänger Alessandro weiterreicht, der sich gar nicht erst die Mühe macht ein Glas zu besorgen. Die Jungs wirken sehr natürlich, Gitarrist Jukka könnte der schlaksige nette Junge von nebenan sein, den alle Mütter gernhaben, würde ihn nicht der rebellische PUNK NOT DIET Button an seiner Jacke verraten. Bassist Mirko, im gelb/rot gestreiften Shirt, der einen unauffälligen Kurzhaarschnitt und eine unauffällige Brille trägt, wirkt wie der schüchterne Student der sich lieber hinter den Schreibtisch einer Universitätsbibliothek wünscht, als hinter einen schweren Rickenbacker Bass. Doch gerade diese Natürlichkeit macht die Band aus. Sie scheinen zu sich und dem was sie ausmacht zu stehen, ohne sich von äusseren Einflüssen verändern zu lassen, wie wir es in der Musikwelt tagtäglich erleben. Das was uns als fleischgewordene Unnatürlichkeit serviert wird, sehen wir von morgens bis abends auf VIVA und MTV. Schon mal ein Grund sich zu freuen, dass es GdM gibt.

GdM
Giardini Di Miró

Jukka kennt die Vorurteile: eine Band aus Italien würde nicht rocken. Aber der Band ist sowas egal, sie haben als Giardini di Miró angefangen zu spielen und sind zufrieden mit ihrer Musik und ihrem Namen. Sie wollen sich nicht anpassen nur um in ein bestimmtes Bild zu passen. Sie brauchen auch keinen Erfolg in Amerika oder schwindelerregende Plattenverkaufszahlen, sie wollen einfach Musik machen als Giardini di Miró. Jukka kennt sogar einige deutsche Bands. Notwist habe er gesehen, und ihm gefalle, "die Band, die mit Morr Music zu tun hat." Gitarrist Corrado scherzt herum. Jukka, fährt sich mit seinen langen, dünnen Fingern durch sein halblanges Haar. Seit kurzem hat die Instrumentalband auch eine Stimme. Jukka zeigt auf Sänger Alessandro, der daraufhin aus dem Schatten der Ecke tritt. Er schreibt die Texte, war lange Freund und Fan der Band und ist nun generischer Bestandteil.

Der Kragen von Alessandros Jeansjacke ist lässig hochgeschlagen, seine Hände hat er in den Hosentaschen vergraben. Er hat diese typische coole Ausstrahlung, die man sich für den Sänger einer Band wünscht, ohne dass er arrogant oder überheblich wirkt. Die Texte habe er versucht, so gut es geht, der Musik anzupassen, die ja von der ganzen Band zusammen geschrieben wird. Die Texte handeln von bestimmten Abschnitten und Ereignissen seines Lebens, erklärt er, und übergibt bei der nächsten Frage gleich wieder an Jukka, der sich mit dem Rücken an die Wand lehnt, und seine blaue Stoffjacke zurechtzupft. Nachdem GdM das erste mal mit Vocals gearbeitet haben, und Gastsänger einluden, waren ihre Fans eher geteilter Meinung, einige empfanden es als eine erfrischende Abwechslung, andere wollten GdM als Instrumentalband wiederhaben, sagt Jukka, und erklärt weiter, dass es auf dem nächsten Album keine weiteren Gastsänger geben werde. Alessandro sei ihr fester Sänger geworden, und mit ihm seien sie sehr zufrieden, weshalb er auch auf allen Konzerten ihrer Tour dabei ist. Die Band hatte eine klare Vision wie das neue Album klingen sollte, inklusive aller Gastsänger und elektronischen Spielereien, und diese Vision sei Wirklichkeit geworden, stellt er stolz fest. Corrado und Alessandro nicken ihm zu.

Langsam wird es Zeit für GdM auf die Bühne zu gehen, und ich schüttle noch mal alle fünf Hände. Ein paar Minuten später öffnet sich erneut die kleine Tür neben der Bühne, und die Band drängelt sich am Publikum vorbei, auf ihrem kurzen Weg zur Bühne. Besonders Jukka hat Probleme mit dem niedrigen Türrahmen, in geduckter Haltung verlässt er den Raum und steigt ebenfalls auf die Bühne, wo Bass und Gitarren umgeschnallt, die Plätze hinter dem Rhodes Piano und dem Drumset belegt werden. Sänger Alessandro stellt sich vor die Bühne und kehrt dem Publikum den Rücken zu. Es geht los. Nun sehe ich auch Drummer Francesco, der in einem himmelblauen Shirt mit der Aufschrift "Julios Haircut" hinter seinem Schlagzeug sitzt, und in einem tranceähnlichen Zustand im Rythmus der Songs seinen Kopf hin und her schaukelt. Mit seinem rundlichen Gesicht und den vollen Locken, erinnert er ein wenig an Ozzy Osbournes Sohn.

Das Publikum ist ziemlich verhalten, einige kommen nicht in Fahrt, wippen leblos hin und her. Nur ab und zu, bei den lauteren, energiereicheren Songs, kommt ein sparsames Kopfnicken hinzu. Die Dynamik im Publikum hält sich insgesamt in Grenzen. Alessandro klammert sich bei seinen Gesangsparts wie unmittelbar vor einem Sturz ans Mikro, schliesst fest die Augen. Es werden Songs vom neuen Album gespielt, mal mit Vocals, mal instrumental, doch das Publikum scheint die Parts zu bevorzugen, in denen die Instrumente kaum geschont werden. Doch gerade die ruhigen und melancholischen Klänge der Band, der glockige Gitarrensound, das zarte Rhodes Piano und die nie zu aufdringliche Stimme des Sängers, machen die Band ebenso aus, wie die Passagen wo einfach nur Gas gegeben wird. Giardini di Miró haben ihren eigenen Sound gefunden, ob mit oder ohne Sänger, und dieser Sound lebt nicht vom Dezibel allein.

"Punk ist keine Diät. Man kann auch Punk spielen und leben, ohne, wie es bei einer Diät üblich ist, auf bestimmte Dinge zu achten oder etwas zu unterlassen", versuchte Jukka den Titel der aktuellen CD zu erklären. Wenn man etwas leben möchte, dann solle man es tun, solange es andere nicht verletzt. Es sei eine Sache der Einstellung. Er gibt aber auch zu, dass sie die Leute mit dem Titel ein wenig in die Irre führen wollten. Das ist ihnen gelungen. Aber selten hat man sich in der Irre so wohl gefühlt.



Text: Guido Wolf

GdM Bilder: Johannes Schardt

Intro-Bild: Christian Biadacz

Mehr zur Giardini Di Miró unter: www.giardinidimiro.com

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