Doch das ist nun Vergangenheit und The Thrills sind im Touralltag eines herbstlichen Berlins angekommen. Es ist das Ende eines windigen, wolkenverhangenen Tages. Der Eingang des Knaack-Klub wirkt,
als sei er in kürzester Zeit hektisch mit Band-Postern zugepflastert worden. Einen tollen Schriftzug hat die Band, der ästhetischen Anspruch und Sinn für Marketing vermuten lässt.
Prägnant, einfach, aber schick stechen die roten Buchstaben ins Auge und werden eingeordnet in die eigene innere Schublade zwischen Popkultur und Popmusik.The Thrills. Diesen Namen
merkten sich eine ganze Menge Leute und machten die Iren in USA und Europa ein wenig berühmt. Und so wird das heutige Konzert vom Radio aufgezeichnet. Ein mächtiger Übertragungswagen
säumt den Lauf der Strasse. Das unentspannte Hin- und Herlaufen der Roadies lässt vermuten, dass sich heute alles ein wenig verzögert. Wie zum Beispiel mein Interview. Ich werde immer
wieder vertröstet, bis kurz vor dem Auftritt doch noch ein schmaler Typ auf mich zu schlendert. Er sieht hungrig und ein wenig genervt aus, aber gut, wir haben keine Zeit, um
Befindlichkeitsfragen auszutauschen.
 Die anderen seien noch beim Soundcheck, sagt er, und gibt mir schlapp die Hand, und vielleicht bessert es seine Laune, wenn ich die erste Frage stelle: Was meinst du, ist Phil Spector unschuldig?
Daniel, Gitarrist, antwortet schnell und routiniert. So als wäre ich nicht die erste, die das fragt. "Ich meine, er ist verrückt. Keine Ahnung, ob er diese Frau erschossen hat oder nicht.
Was mich an ihm fasziniert, ist seine Musik. Und ob jetzt seine Grosseltern Cousin und Cousine waren... hey, keine Ahnung, ist mir auch egal." Phil Spector, Produzentenlegende und "Wall of Sound" -
Begründer wurde wegen Mordverdachts an der Schauspielerin Lana Clarkson verhaftet. Es ist ungeklärt, ob es sich dabei um Selbstmord oder einen ‚unglücklichen Unfall' handelt, wie
Spector selbst immer wieder betont. Sein "Christmas Album", die Byrds, die Beach Boys und andere amerikanische Größen aus den Sechzigern und Siebzigern sind die großen Helden von The
Thrills. Allerdings werden sie in einem Atemzug mit Beck, Air und den Super Furry Animals genannt. Was vielleicht diese fürchterliche Ahnung auf einen reinen Sixties Retro Pop zerschlagen
dürfte.
Die Band hat sich vor ihrem Debüt auf den Weg nach Kalifornien gemacht. Sie machten monatelang Urlaub in San Diego, in einem sehr engen Appartement am Strand, und Sofas waren auch im Spiel.
Daniel erklärt: "Ja, es waren nur diese zwei kleinen Räume da, und es war schon eng, und dann standen auf einmal noch vier Freundinnen in der Tür. Da mussten wir uns dann was
überlegen. Die zwei alten Sofas, die an der nächsten Straßenecke auf den Müllwagen warteten, kamen uns da wie gelegen. Wir stellten sie einfach vor das Appartement in den Sand
und das war`s. Genug Platz für alle." Könnte ausgesehen haben wie in einem dieser Werbespots: ausgelassene, schöne, junge Menschen sitzen auf einem alten Sofa am Strand und
leben einfach.
Als das Debüt "So much for the city" dann im Sommer 2003 erscheint, überschlägt sich die englische Musikpresse, und als diese Welle auch uns erreicht, lässt sie vermuten, dass The
Thrills schon aussergewöhnlich sind. Aber eben nur in diesem Kosmos des Sechziger Jahre Retro Pop. Wäre das auf die Dauer nicht ein wenig langweilig? Daniel erklärt: "Nur, weil wir
keinen Garagen-Rock machen, immer wieder betonen, dass in San Diego rumhängen nur zur Musik von The Band, Marvin Gaye, Stevie Wonder, Carole King und anderen möglich ist, heisst das
noch lange nicht, dass wir nur diese Musik kopieren. Wir versuchen, unseren speziellen Sound zu finden, und wenn wir aufnehmen, blicken wir eher vorwärts als rückwärts."

Eine Bande junger Iren haut ab. Einfach für eine Weile nach Amerika. Musik machen, mit ihren Mädchen rumhängen und an ihrem Outfit feilen. Machen Songs, die vor Sehnsucht nur so
strotzen. Sehnsucht nach einem anderen Ort als dem regnerischen Dublin. Kann man da nicht denken, dass ihr Debüt eskapistische Züge trägt? Dass diese Sehnsucht ernsthaft etwas mit
fehlendem Heimatgefühl zu tun hat? Gedacht, gefragt. Daniels Miene verzieht sich, und etwas leiser als vorhin antwortet er: "Auch wenn wir in San Diego waren, wir haben dort nur Urlaub gemacht.
Es war natürlich alles anders, als wir wieder in Dublin waren. Wir fühlten es ja alle, aber das hatte nichts zu tun mit Identitätsfindung oder der Suche nach etwas. Wir hatten einfach
eine wunderschöne Zeit, fanden genug Gelegenheit unser Geld in Plattenläden auszugeben und waren voll mit Ideen für neue Songs."

Der nachfolgende Trip nach San Francisco festigte ihren Entschluss, diese Songs aufzunehmen. Um an diesem Gefühl festzuhalten, arbeiteten sie, zurück in Dublin, unermüdlich weiter,
nahmen ein Demo-Tape auf und unterzeichneten 2001 einen Deal mit dem kleinen Label Supremo. Das klappte jedoch nicht wie geplant, und ein Jahr später waren sie wieder ohne Vertrag. Zu ihren
Eltern drang diese Nachricht zum Glück nicht vor. Die wurden ständig mit Geschichten über den schon greifbaren Ruhm und internationalen Durchbruch im Popgeschäft versorgt. Die
Jungs waren zu dem Zeitpunkt zweiundzwanzig. Im Sommer hörten diverse Major-Label ihr Tape und ausgesucht haben sich The Thrills dann Virgin, weil einfach das Gefühl stimmte, wie Daniel
sagt.
Heute Abend stimmt das Gefühl nicht ganz. Die Reisestrapazen, der Tourstress und damit verbundene Unvorhersehbarkeiten lassen die Band genervt erscheinen. Und alle wirken davon infiziert. Die
Pressefrau hetzt ständig von Tisch zu Tisch, um die wartenden Journalisten und Fotografen zu vertrösten, die auch immer nervöser werden. Daniel selbst wirkt ebenfalls unruhig. Er sei
hungrig, schlecht geschlafen hätte er auch und irgendwie scheine heute sowieso alles schief zu laufen, beklagt er sich. Aber gut, das sei der Preis, den sie zahlen müssten, fügt er
irgendwie schief lächelnd hinzu. Auf näheres Nachfragen nach dem allgemeinen Wohlbefinden der Band winkt er nur müde ab. Es sei schon alles okay, meint er, nichts Ernstes. Und gleich
darauf: Ob wir denn jetzt fertig seien? Ja, eigentlich schon. Wir verabschieden uns, und er schlendert müde zum Nachbartisch, wo noch andere auf ihn warten. Die Band im Ganzen bekomme ich dann
nur kurz zu Gesicht. Sie postieren sich im Gang, warten darauf, dass die Fotografen ihren Job erledigen und verschwinden schnellstens wieder im viel zu kleinen Backstageraum.
Die Gäste im Klub stehen eng gedrängt, so dass man fast meinen könnte, sie fürchteten sich vor etwas. Die Vorband wurde mehr oder weniger ertragen und jetzt warten alle auf die
Thrills. Viele haben sich T-Shirts gekauft und die roten Buchstaben leuchten aus den dunklen Ecken des Klubs hervor. Als die Jungs dann endlich die Bühne betreten, gibt es lauten Applaus und
Jubelschreie. Sie leben diesen Sixties-Style, tragen alle zu kurze Hosen, Pullunder und ausgefranste Turnschuhe. Der Sound ist perfekt und sie stehen gern da oben. Das sieht man. Auf einmal sind die
Erinnerungen an zu enge Fährauffahrten, den verfluchten Regen und den Tourstress vergessen. Die dunklen Wolken sind einem strahlend blauen, südkalifornischen Himmel gewichen. Und die Hitze
des Klubs macht für einen Abend die Illusion perfekt, dass "Santa Cruz not that far" ist.
Vor dem Klub wartet der Nightliner. Wo die Band Urlaub machen will, um Songs für ein zweites Album zu schreiben, konnte mir Daniel leider nicht sagen. Vielleicht noch einmal San Diego "where all
the kids go."
 The Thrills

Text: Rebekka Bongart
Bilder: Pressefreigaben
Mehr zu The Thrills unter www.thethrills.com

Das Album "So much for the city" gibt es nicht nur im Internet oder in den einschlägigen Medienmärkten, sondern auch beim Plattenhändler eures Vertrauens.
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