Wir steigen in den betatgten Musikreportage Fiesta ein und nehmen Kurs auf den Gleimtunnel am Mauerpark. Eine unwirtliche Ecke, zumal bei diesem Wetter. Hier war früher Endstation in Ost-Berlin.
Und seit der Wende hat sich baulich nicht viel getan. Gerade deshalb ist es jedoch eine dankbare Gegend für Bildhintergründe. Vor ziemlich genau vier Jahren, im Oktober 1999, steuerte Regy
Clasen dieses Ziel schon einmal an. Nur unter anderen Vorzeichen. Es ging um die Cover-Fotos für ihr Debutalbum. Das Auto war eine BMW Limousine und Clasen die neue Megaseller Hoffnung von Sony
Music. Ausgangspunkt dieser Fahrt war nicht der Tourbus, sondern das exklusive Hyatt Hotel. Xavier Naidoo hatte ein Jahr zuvor seinen Durchbruch mit deutschem Soul-Pop gehabt. Clasens Musik ging (und
geht) in eine ähnliche Richtung. Die Plattenfirma hoffte, das weibliche Pendant zu Naidoo etablieren zu können. Das gelang nicht ganz. Trotz euphorischer Kritiken und einem TV-Auftritt bei
"Nur die Liebe zählt" bleibt ihr Debut unter den Verkaufserwartungen. Der Atem der Plattenfirma erweist sich als kurz.
Nach einer Weile entschliesst sich Clasen ihre Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen. Nicht abreissende Bekundungen, dass ihr Album die Menschen wirklich berührt hat und weiterhin
erfolgreiche Liveauftritte, ermutigen sie, ihr zweites Album in Eigenregie zu produzieren; ohne Plattenfirma. Sie erzählt von ihrem Guerillakonzept und dem Glück, das man braucht um es
erfolgreich umsetzen zu können. Da war zum Beispiel die Geschichte mit dem teuren, weil äusserst seltenen Mikrofon, das sich Sony einst für Clasen leistete. Nach einigen
unbefriedigenden Versuchen mit anderen Mikros, die heute erschwinglich waren, wollte sie nicht mehr weiterprobieren. Diese ganze Prozedur hatte schliesslich damals zu einem Ergebnis geführt. Das
AKG C24 unterstützt Clasens Stimme nun einfach am besten. Aber woher nehmen? Alle Produzenten, die Clasen anfragt, lachen nur. Das Ding sei eine Rarität und sowieso unbezahlbar.
Letztendlich entschliesst sie sich Produzent Chris von Rautenkranz zu fragen, der damals diesen Mikrotest durchgeführt hat. Wie es der Zufall will, handelt es sich um ein Mikro aus seinem
eigenen Bestand. Jetzt zahlte sich ihre freundliche Art aus. Das Beste kostete sie nur ein Lächeln. Ein solches breitet sich auch nun wieder auf ihrem Gesicht aus. Glück braucht man.
Glück hat sie.
Ortswechsel: Hamburg Eimsbüttel im Sommer 2003. Das Wohnviertel, in dem Clasen gerade an ihren Demos bastelt, ist sehr wohnlich. Jede Menge perfekt erhaltene Altbauten säumen die mit
dichten Bäumen bewachsene Strasse. Die Sonne scheint durch die dichten Baumwipfel. Wir sind weit genug von den Hauptstrassen entfernt. Ruhig wäre das falsche Adjektiv. Hier ist es
idyllisch. Am Ende der Strasse führen ein paar Stufen zu einem kleinen Ladengeschäft, der Promotionagentur von Regy Clasens Manager Hasko Witte. In einem Hinterzimmer sitzt sie zusammen mit
Soundtüftler Tristan Ladwein, der in der Hamburger Hip-Hop Szene als Remixer und Künstler jenseits aller Szenen bekannt ist. Sie ersetzen Sounds der ersten Demos. Das aktuelle Stück
ist sehr soulig. Ladwein sucht nach alternativen Drumsounds, Clasen nickt oder auch nicht. Aber nichts befriedigt die beiden so richtig. Clasen ist leicht angespannt. Ihr Ausdruck ist wie der einer
Trainerin, die im Wettbewerb keinen direkten Einfluss mehr auf den Athleten hat. Den hat sie natürlich, aber sie muss jetzt auch auf die Talente Ladweins vertrauen. Der stört sich vor allem
am Klang der Fingerschnippser aus der Konserve. Schnell richtet er ein Mikro ein und fordert alle im Raum auf, zur Musik zu grooven und zu schnippsen. Heutzutage braucht man ja nur ein kurze
Aufnahme, schon hat man ein selbstgefertigtes Sample. Ladwein ist zufrieden. Er spielt den Takt mit den Fingern auf dem Schreibtisch mit, wippt auf und ab. Das Lied hat gleich mehr Wärme und
einen authentischeren Rhythmus. Clasens Augen leuchten, Ladwein stoppt die Wiedergabe und lehnt sich stolz zurück. Wieder entlädt sich ein wenig Spannung, wieder ist ein kleines Stück
auf dem Weg zum Album geschafft.
Doch Clasen ist in jenen Sommertagen den Träumen und Ideen noch näher als einem fertigen Tonträger. Ihre selbst komponierten neuen Lieder haben eine beachtliche Tiefe und
Intensität, und Clasen ist sichtlich stolz darauf. Aber ihre Nervosität ist nicht zu verbergen. Ist ja nicht so, dass ihr erstes Album an kompositorischen Mängeln gescheitert
wäre. Wir denken bei einer Tasse Kaffee über mögliche Gründe nach, aber alle Theorie erweist sich wieder mal als grau. Clasen hat damit sowieso abgeschlossen. Sie blickt nach
vorne. Wie produziert man ein Album möglichst kostenfrei? Clasen kann hierbei mit ihrem guten Ruf wuchern. Da gibt es dann schon mal zwei Studiotage im Tausch für Backing Vocals oder einen
Freund wie Cellist Hagen Kuhr, der mal eben ein ganzes Streichorchester für Clasen einspielt. Auch das Marketing muss sie sich selbst überlegen. Sie hat eine Idee, die erst einmal quer
klingt, dann aber wieder Sinn macht. Sie will das Tupperparties Konzept auf ihre Musik anwenden. "Fans könnten sich bei mir als Regy Assistenten melden und dann zu Hörproben-Parties
einladen." Clasen sitzt wieder mit vollem Rückgrat: "Das ist mein Guerilla Konzept!"
Wenig später noch eine Stippvisite in Clasens Wohnung. Eine klasse Single Wohnung im vierten Stock mit Blick auf den Hafen. Die Hamburger lieben ihn ja, besonders die Musiker. Man kann das
verstehen. Er liegt da wie ein süsses Versprechen, das Tor zur Welt. Und die Hmaburger zeigen sich herzensgerne mit diesem Versprechen zufrieden. Denn weg wollen sie gar nicht. An der Wand
hängt ein Cover des deutschen Rolling Stone Magazine. Clasen ist auf dem Titel. Man muss schon drei Mal hinsehen um das als Fälschung zu erkennen. Freunde von ihr haben sich die Mühe
gemacht das detailgenau zu designen. Denn nach ihrer Ansicht gehört Clasen dorthin, wo sie einst alle hinwollten (der Film "Almost Famous" erinnert uns daran), auf das Cover des Rolling Stone.
Clasen ist sehr stolz auf dieses Bild. Zum einen wegen der Mühe, die sich für sie gemacht wurde, zum anderen weil sie dem Motiv zustimmt. Es ist ein konkretisierter Traum, die Lorbeeren
seiner Anstrengungen zu tragen. "Hab ich nicht ein Recht auf soviel Liebe wie es gibt?" singt sie in "So gerne", einem ihrer neuen Lieder. Erwähnte ich schon, dass sie selbstbewusst ist?
Wir sind auf dem Rückweg zur Kulturbrauerei. Clasen erkennt den alten Franz Club, den es seit Jahren nicht mehr gibt. Einst trat sie dort am Anfang ihrer Karriere mit ihrer Accapella Band Five
Live auf. Sie freut sich unbändig. Es ist viel Clasen Geschichte in Berlin. Aber es wird auch neue gemacht. Im Kassettenradio hören wir einen neuen Song: "Fischer, Fischer, wie tief ist das
Wasser? Was weisst Du darüber, wie kommt man da rüber?" Jetzt wird klar, warum "Wie tief ist das Wasser" ein guter Titel für ihr Album ist. Alles verdichtet sich in diesem archaischen
Bild. Die Fragen, die Hoffnung, der Wille da rüberzukommen, welches Wasser es auch immer sei. Man will ihr raten zu schwimmen, aber sie ist längst schon fast am anderen Ufer. Es wird nichts
schief gehen.
Text: Christian Biadacz
Bilder: Hector Muelas (Farbbilder), Christian Biadacz (s/w) Das 99er Pressefoto stammt von Joerg Grosse Geldermann
Mehr zu Regy Clasen unter www.regyclasen.de
(Dort gibt es auch mehr Infos zur Aktion mit den Regy Assistenten)
Das Album "Wie tief ist das Wasser" (RinTinTin) gibt es ab dem 05. April nicht nur im Internet oder in den einschlägigen Medienmärkten, sondern auch beim Plattenhändler eures Vertrauens.
Davor aber auch schon auf Clasens Homepage. Have a look!
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