REPORTAGEN
Klangflauschhandtuch
Pfeil

Mit in dem was man als den Moloch der Grossstadt bezeichnet, wachsen in einem verlassen verwilderten Vorgarten eines unbewohnten Hauses die Ranken um die rostigen Zaunornamente. Berlin Pankow im Zentrum der Gegensätze. Man kann fast noch die Kinder hören, die hier vor langer Zeit in dem kleinen Sandkasten spielten, der jetzt voller Verpackungsmüll liegt, der im Vorbeigehen hier deponiert wurde. Auch das frischverliebte, sich küssende Pärchen, das vor einer Ewigkeit auf dem einst frischgesensten Rasen kicherte, mag sich in den Gedanken so manches Passanten noch ein paar Sekunden mehr Existenz ergattern. Denn die Idylle, wenn es sie so je gegeben hat, ist nicht mehr. Um das Haus Industriebrache, über ihm Einflugschneise, auf der anderen Strassenseite ein Musikclub namens Garage Pankow. An den stählernen Eingangstoren flattern die Ecken der zahllosen zerschlissenen Tourplakate im Wind. So manche Band hat hier schon gespielt. Heute abend wird es garish sein. Eine Band aus dem österreichischen Burgenland, die dem leeren Verprechen poetischer Texte manchen Schluck eingiesst. Keine Rocker, aber sie rocken, keine Weichmacher, aber fast schon kuschelig. Wie ein Märchen wirkt ihre Musik im Wald der nüchternen Nabelschau bezeichnungsgeiler Generationen. Fast wie ein romantisches Haus im rauen Pankow...

Thomas Jarmer und Markus Perner Im Hof der Garage trocknet die warme Sonne Wäsche, die jemand provisorisch über ein Holzgeländer gehängt hat, in der Mitte steht ein Tourbus. Aus dem Inneren des Clubs dringt der Anfang eines Liedes, welches zunächst kraftvoll beginnt, aber nach Zwischenrufen einer männlichen Stimme in seine Bestandteile zerfasert und schliesslich verstummt. Ein roter Pfeil leuchtet mir den Weg. Der Soundcheck von garish dauert wohl schon eine Weile an als ich eintrete. Es stört sie nicht weiter und ich würde sogar behaupten, dass sie es nicht einmal merken, so konzentriert sind sie. Die vielen Instrumente drängeln sich am Rand der kleinen Bühne wie neugierige Kinder, die darauf warten, endlich an die Reihe zu kommen, aber irgendwann sind dann alle durch und die Proben beendet. Sänger, Texter und Akkordeonspieler Thomas Jarmer und Schlagzeuger Markus Perner haben jetzt Zeit, ein bisschen zu reden und wir lassen uns auf einem alten, abgewetzten Sofa im Nebenraum nieder. Überall riecht es nach kaltem Zigarettenrauch und abgestandenem Bier. Die Vorbereitungen hinter und vor der Bar sind ein unruhiges Treiben und lassen es kaum zu, leise zu sprechen. Sie fordern ein ständiges Nachfragen. Und dabei scheint Thomas Jarmer ein eher stiller Mensch zu sein. Ich erwische mich dabei, wie ich die Jungs hinter der Theke öfter als einmal mit einem strengen Blick strafe und dabei symbolisch den Finger auf den Mund lege. Wie peinlich eigentlich, aber vielleicht benimmt man sich so, wenn man jemandem unbedingt zuhören möchte.

Theke Stille, Nacht und Ruhe sind wichtige Voraussetzungen, um dem dritten Album der Band ,"Absender auf Achse", welches diesen Februar erschienen ist, gerecht zu werden. Jarmer bestätigt meinen Eindruck: "Das liegt im Endeffekt an keiner Absicht, die von uns ausgegangen ist. Es liegt vielmehr daran, wie die Musik jetzt zusammengesetzt ist und wie sie klingt und wie sie ist. Je später es wird, umso ruhiger wird es draussen, und man konzentriert sich auf bestimmte Plätze und kann so das Ganze auch bewusster aufnehmen. Bei Nacht, ja, da funktioniert das sicher am Besten." Markus Perner fügt hinzu: "Die Aufmerksamkeit ist sicherlich stärker und ich kann mir unsere Musik auch nicht beim Essen anhören. Das geht nicht, ich muss mich da schon konzentrieren." Die geforderte Aufmerksamkeit während des Hörens ihrer Musik gilt neben den komplizierten und opulenten Arrangements vor allem den Texten, die Jarmer dazu schreibt. Die in den Songs verarbeiteten komplexen Assoziationsfetzen lassen den Hörer oft rätselnd, oft genug aber auch staunend über deren einfache Schönheit und Aussagekraft zurück. Wie diese Zeile aus "Ich ahne was": "Weisst du wohin, wohin ich will, weisst du wohin? Was, wenn es mir dort nicht gefällt, was wäre wenn?"

Auf dem Sofa In der Info zur aktuellen Platte verdeutlicht ein Zitat aus Joseph von Eichendorffs "Aus dem Leben eines Taugenichts" die Reisesehnsucht der Band: "Hinter mir gingen nun Dorf, Gärten und Kirchtürme unter, vor mir neue Dörfer, Schlösser und Berge auf, unter mir Saaten, Büsche und Wiesen bunt vorüberfliegend, über mir unzählige Lerchen in der klaren blauen Luft - ich schämte mich, laut zu schreien, aber innerlichst jauchzte ich und strampelte und tanzte auf dem Wagentritt herum, dass ich bald meine Geige verloren hätte, die ich unterm Arme hielt." Die Reisen spielen sich in den Texten von Garish aber weniger zwischen wirklichen Plätzen ab, sondern eher in den Köpfen, zwischen Menschen, der psychische Ort wechselt, nicht der physische. "Die Entdeckungsfreude spielt eine grosse Rolle bei uns. Und die Reize, die dadurch auf uns einströmen. Vielleicht möchten wir auch nur dem Phänomen der Abnutzung entgegensteuern oder ihm ausweichen. Deswegen versuchen wir immer wieder an neue Stellen und neue Ideen zu kommen. Oder eben auch an neue Leute. Wir geben uns nicht mit der Langlebigkeit der Dinge zufrieden, vielleicht sogar mit der Zufriedenheit überhaupt, wenn sie denn jemals zu finden ist." Thomas Jarmer erzählt ruhig, er sitzt still an seinem Platz, während Markus Perner stetig nickt und das nicht nur mit seinem Kopf. Zufriedenheit suchen, sich ausser Stande zu sehen, sie jemals endgültig zu finden veranlasst den einen, konzentriert und geordnet nach Wegen zu suchen, während der andere durch Bewegung und Neugierde seinem suchenden Wesen Ausdruck verleiht.

Immer wiederkehrendes Thema in den Liedern ist also die Suche, die Sehnsucht nach Neuem. Was garish anders machen als viele deutsche Bands ist die besondere Sprache, die Poesie. Die Entscheidung so zu schreiben, sei einfach so passiert: "Es ist mehr oder weniger der Zugang zum Text, der für mich am meisten Wertigkeit hat und so zum Ausdruck wird. Um das auszudrücken, was ich will ist es dahingehend die einzige Art und Weise, mit Sprache umzugehen. Wir arbeiten mit bildhaften Darstellungen, welche auf Liedtexte zurück gehen, die in deutscher Sprache zum ersten Mal mit Element of Crime oder Fink aufgetaucht sind. Da ist damals eine Tür aufgegangen für mich." Thomas Jarmer zuckt kurz zusammen. Irgendjemand hinter der Theke hat ein Glas fallen gelassen. Lautes Lachen folgt. Das Gespräch wird ständig von solchen Geräuschen zerschnitten, man wünscht sich das ruhige Zimmer. Immer wieder.

Thomas Jarmer

Die Unruhe unmittelbar in unserer Nähe wird nun verstärkt durch den Auftritt des Künstlers, der vor garish spielt und im benachbarten Bühnenraum beginnt. Nur mit Gitarre und seiner Stimme ausgerüstet, krächzt er mehr schlecht als recht von seinem gebrochenen Herzen und Frauen, die ihm davon laufen und nicht wiederkommen. Man könnte fast Mitleid haben. Das Gespräch zwischen uns neigt sich dem Ende, draussen ist es mittlerweile dunkel und die Wäsche im Hof wird wohl wieder feucht werden, wenn sie nicht bald jemand abnimmt. Der rote Pfeil leuchtet aufdringlich und wer spätestens jetzt nicht davon angezogen wird, der bleibt woanders. Der Club hat sich scheinbar unbemerkt gefüllt, vereinzelt sitzen oder stehen die Menschen und aus dem Dunkel sieht man die Zigaretten glühen.

Der traurige Junge in grünem T-Shirt ist fast damit fertig, seiner Gitarre noch traurigere Töne zu entlocken und man stellt fest, dass er so schlecht gar nicht klingt. Man kann sich besser auf ihn einlassen und nimmt ihn nicht nur als lästiges Nebengeräusch wahr. Als garish auf die Bühne gehen, kommt ihnen sofort ungeteilte Aufmerksamkeit zu. Der feine Ausdruck im Gesicht des Sängers impliziert hohe Konzentration und auch die anderen Bandmitglieder arbeiten mit fast beängstigender Perfektion. Schnelle Instrumentenwechsel und die verblüffende Ähnlichkeit der Live-Stücke mit denen auf Platte stellen eine besondere Atmosphäre her. Da ist sie endlich, diese Ruhe, die man so lang ersehnte. Die eben noch als unangenehm empfundenen Geräusche nimmt man nicht mehr wahr. Die Musik wird zu einem Klangflauschhandtuch. Es wird erst wieder laut als das Konzert zu Ende ist. Man tritt aus dem warmen Club in den kühlen Hof. Der Wunsch, noch irgendwo hinzugehen, wird verdrängt von der wohligen Ruhe, in der man sich wiegen will. Die Soundechos des Gehörs als einziges Geräusch. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite wähnt man das verlassene Haus, aber es gibt keine Laternen hier. Man kann das verliebte Paar, das mitgelauscht hat, nicht sehen, aber vielleicht war es da.

garish


Text: Rebekka Bongart

Bilder: Sandra Heckeroth
(ausser Bandfoto: Pressefreigabe)

Mehr zu garish unter www.garish.at

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