REPORTAGEN
Kalahassi

Ein kleines Dorf in Bayern an einem sonnigen Sonntagmorgen Anfang November. Ich bin auf dem Weg zur Band Jamaram, die vor zwei Jahren nur so aus Spass beim internationalen Newcomer-Festival Emergenza antraten und souverän zwei erste Plätze in den Vorrunden belegten. Im Finale reichte es den Reggae-Musikern immerhin noch zum zweiten Platz. Ich biege in den idyllisch gelegenen Hof. Dort spielen drei der Jamarams mehr lässig denn sportlich Hackisack. Weiteres Bandpersonal, die Beblo Brüder, schaut verschlafen aus einem Fenster. Ein Hauch von Musikerkommune rauscht durch den knorrigen Baum vor dem Haus, wird jedoch von Sänger Tom Lugo, der mich überschwenglich begrüsst, geradezu hinfortgeweht. Ob das wohl daran liegt, dass ich selbstgebackene Schokomuffins mit Frischkäsefüllung mitgebracht habe? Seine Bandkollegen Sam und Nik stürzen sich jedenfalls auch auf selbige, als hätten sie nur darauf gewartet. Tom grinst. Aus schlingendem Rachen und glücklichen Mundwinkeln löst sich ein seliges "Kalahassi!"

Tom Unter einer Garage liegt der etwa 20 Quadratmeter grosse Proberaum der Jungs, der allein mit den Instrumenten schon voll wirkt. Die Wände sind halbherzig gegen Schall isoliert und Poster von Frank Zappa sowie den Red Hot Chili Peppers sind ihre einzige Zier. Später, so gegen zwei, als die Band mit den Aufnahmen beginnt, wird es ganz schön heiss da unten. Aber um die Mittagszeit, da man mich zum Beginn der Proben herbestellt hat, ist es eher kühl. Aber ich bin unter Künstlern. Was sind da schon zwei Stunden hin oder her. Tom und Benni, der Bassist, führen mich herum: "Der Benni hat uns echt geholfen, zu lernen mit der Band zu arbeiten und nicht einfach nur irgendwo rumzujammen und abzuspacen," erzählt Tom über die Anfänge. "Mir geht es einfach darum, eine gewisse Professionalität an den Tag zu legen, was mit der Band nicht immer ganz einfach ist. Das liegt an der Anzahl der Leute und am Kiffen." Da muss er über seine eigenen Worte lachen, denn er dreht sich gerade selbst einen Joint. "Erinnerst Du dich an Kalahassi?" fragt mich Tom als er den ersten Zug nimmt: "Das ist, wenn es dir richtig gut geht."

Die Musik von Jamaram hat nicht viel gemeinsam mit dem ursprünglichen Reggae und Dancehall aus Jamaika. Aber das war ja schon zu Bob Marleys Zeiten so. Dessen benutzerfreundliche Reggae-Version hat diese Musik zwar für westliche Ohren tauglich gemacht, konnte aber den Fans kein bleibendes Interesse für die jamaikanische Kultur vermitteln. Sei es drum. Jamaram möchten mit ihrer Musik auch keine einseitige Botschaft verkünden. Die Leute sollen Spass und eine gute Zeit mit der Musik und der Band haben. "Kalahassi ist was dich glücklich macht. Wie eine Praline, die auf der Zunge zergeht", meint Tom. Ganz schön poetisch für einen, der vor noch nicht allzu langer Zeit auf der Bühne einen Song angestimmt hat, ohne zu wissen, wie dieser textmässig enden wird. "Früher hat der Tom eigentlich nur gejammed und improvisiert über irgendwelche bunten Schuhe von irgendeiner schönen Frau, die vor ihm im Publikum stand", erzählt mir Sam. "Wir hatten keine Texte, was vor allem für unsere Backgroundsängerinnen sehr schwer war. Und deswegen haben wir uns irgendwann einmal angewöhnt, Texte zu schreiben." Ein bisschen bedauern es die Jungs, dass diese Leichtigkeit der Anfänge verflogen ist. Heute entstehen die Songs in Kollaboration mit allen Bandmitgliedern, dementsprechend vielfältig sind die aufgegriffenen Themen. Oftmals habe Sam eine Idee, die dann in Jamsessions oder beim Proben ausgebaut und verfeinert wird. Der Text wird meistens gleich mit der Grundidee geliefert. "Anfang 2002 hatten wir dann eine Krise", erzählt Murxen. "Da wollten wir auch aufnehmen und viele neue Songs schreiben und es ging gar nichts. Wir haben krampfhaft versucht, Ideen zu entwickeln. Es war total beschissen." Die Kreativität war mit dem Wunsch professionell Musik zu machen, eingeengt worden. Um sich aus der Misere zu befreien, mussten die Jungs lernen, wieder locker zu werden. Denn dann entstehen diese Songs, in denen Jamaram Reggae, Funk, Samba, Blues und Rock zu einem unvergleichlichen Stil zusammenschweissen. Und die sollen jetzt aufs Album. Kalahassi? "Das ist alles... oder nichts", sagt Murxen.

Sam Ortswechsel. Jamaram spielt ihr erstes Konzert nördlich der bayerischen Landesgrenze, im brandenburgischen Quedlinburg. Hier, im Osten Deutschlands, geht es ja gerne mal etwas härter zu. Und so wächst meine Spannung, wie die Konzertbesucher die Band hier empfangen werden und wie es der Band wohl hier gefallen wird, mit jedem Kilometer, den ich zwischen Berlin und Quedlinburg zurücklege. Die Band hat eine lange Fahrt im Bus hinter sich und ist schon dabei, die Instrumente aufzubauen. Nix mit Tourbus, Chauffeur und Roadies. Dafür aber ein warmer und fürsorglicher Empfang der Betreiber mit selbstgekochten gefüllten Paprikaschoten, belegten Brötchen, Obst, Schokolade und allem was das Musikerherz erfreut. Das ist Jamaram nicht unbedingt gewohnt. Später in der Nacht, als die Jungs die clubeigenen Betten belagern, fliegen Sätze wie "Ab jetzt spielen wir nur noch im Ossiland" durch die Luft. Die Band fühlt sich bei so viel Gastfreundschaft sichtlich wohl. Und auch die Konzertbesucher werden nicht enttäuscht. Die Jungs holen alles aus sich und den Instrumenten heraus. "Satin Butterfly", ein Lovesong, der auf dem Album in einer wunderschönen Akustikversion gespielt wird, bekommt ein drei Minuten Ska Outro und der Saal rockt, dass ich mir Sorgen um das alte Fachwerkhaus mache. Die Besucher singen mit, als hätten sie zusammen mit der Eintrittskarte den Jamaram Stylee erworben. Jamaram bestechen live durch ihre schweisstreibenden Reggae Riddims, den Percussion Latineinlagen, groovenden Funk und nicht zuletzt durch ihre mitreissende Bühnenpräsenz. Was irgendwie auch kein Wunder ist, denn Jamaram, das ist ein Mix aus Puerto Rico, Wales, Andalusien, den USA und Deutschland.

Nach dem Gig sind die Band und ihr Publikum noch einige Zeit aufgewühlt. Keiner mag so richtig gehen. Immer wieder zieht es die Bandmitglieder einzeln oder in Grüppchen zurück in den Saal. Später sitzen Sam, Murxen und Nik mit vier übriggebliebenen Besuchern am Bühnenrand und plaudern. Wie immer findet sich schnell ein Instrument oder ein Gegenstand auf dem man klopfen, den man zupfen oder schütteln kann. Und so beginnt noch eine kleine Jamsession am Rande. Nicht laut, ganz leise, sehr stimmungsvoll. Zeit für Kalahassi. Dazu wird die Band nicht gezwungen. Das muss keiner machen. Noch mal rauskommen und sich Zeit nehmen, Zeit geniessen, die Musik sogar ganz praktisch zu teilen. Ein Moment wofür sich das Ganze doch auf jeden Fall zu lohnen scheint.

Als sich im Dezember alle Welt für die Weihnachtseinkäufe in die Kaufhäuser drängelt, kratzt die Band ihr Weihnachtsgeld zusammen, um in einem kleinen Aufnahmestudio nahe München den Jamaram Stylee endlich auf Platte zu pressen. Das Studio befindet sich auf einem kleinen Gewerbehof. Es ist kalt und dunkel und bis zum Eingang watet der Besucher durch knöcheltiefen Schneematsch. Das Geräusch, das dabei entsteht, werde ich so schnell nicht vergessen, was vor allem daran liegen mag, dass es sich irgendwie in den Abspann von "Get together" auf die Platte gemogelt hat. Es geht eine Treppe hinunter und durch kleine unterirdische Gänge. Hier riecht es muffig. An der Wand lehnt ein Gerippe. Aber dann höre ich schon die warmen und weichen Töne einer Akustikgitarre und eines Berimbau's, ein Instrument, das aussieht wie ein Flitzebogen, auf dessen Saite eine Kokosnuss aufgefädelt ist. Da will ich hin. Als ich eintrete, stehe ich auch schon mitten im Aufnahmeraum. Eigentlich ganz gemütlich. Nicht so steril, wie ich dachte. Gleich daneben, hinter einer grossen Glasscheibe, befindet sich das Studio mit all den technischen Geräten. Klein, aber fein. Und während in dem einen Raum die Musik eingespielt wird, beobachtet man in dem anderen das Geschehen und diskutiert und streitet über Feinheiten und andere Probleme.

Dieses Album ist ihnen wichtig. Es ist ihr Höhepunkt. Es ist ein Experiment. Tom erzählt: "Wir hatten lauter Erwartungen, aber wussten im Endeffekt nicht welche." Diese Unsicherheit, gepaart mit dem Druck, der dadurch entstanden ist, dass die Band alles in Eigenregie produziert hat und dafür auch eine Stange Geld aus der Hand geben musste, sei schon enorm für so junge Musiker gewesen. "Wir hatten hohe Vorstellungen und wollten einfach das Album liefern. Aber das ist total schwierig. Und deshalb habe ich mich in den ersten fünf Tagen ziemlich eingeschissen, als ich nur das Schlagzeug und den Bass gehört habe und dann Zweifel kamen, ob das so besonders wird, wie ich mir das vorstelle," beichtet Murxen. Seinen Bandkollegen ging es, den Gesichtern nach zu urteilen, nicht anders. Trotzdem hatte die Band viel Spass an der Studioarbeit und dieser neuen Erfahrung. "Der schönste Moment war für mich ungefähr nach der Hälfte der Zeit, wo wir alle noch ein bisschen kritisch waren und nicht wussten, wie es werden wird. Der Matt hatte an diesem Tag eingespielt und sich alles noch mal angehört. Der rief mich dann nachts an und meinte: 'Hey, weisst du was? Das wird so ein megageiles Album. Das wird so richtig richtig gut!' Nun muss man wissen, dass Matt mit seiner E-Gitarre derjenige bei Jamaram ist, der musikalisch am weitesten vom Reggae entfernt ist. Er kommt aus der echten Hardrockecke. Und da habe ich mir gedacht, wenn das der Matt sagt, dann ist es echt super. Das hat mich gekickt."

Als das Album wenig später fertig aufgenommen, gemixt, gemastert und mit einem Cover versehen ist, scheinen alle mit dem Ergebnis zufrieden. Kalahassi! Es ist ihr Album. Und auch wenn jedes der Bandmitglieder eine eigene Beschreibung von Kalahassi hat, so sind sie sich in einem jedoch einig: Kalahassi ist etwas Schönes, ein Genuss. Bei allem Ernst und aller Anspannung, bei all der Zuversicht und dem Vertrauen, gewonnene Festivals hin oder her, fragt man die Jungs nach dem absoluten Kalahassi-Gefühl ihrer noch relativ kurzen Bandgeschichte, so sind sie sich einig, dass das ihr gemeinsamer Italien-Urlaub vor zwei Jahren war. Im Land der leichten Musik haben sie das Landleben genossen, in Venedig Strassenmusik gemacht und sind sich menschlich nähergekommen: "Dort sind wir richtig dicke Freunde geworden." Jamaram das sind Tom, Sam, Murxen, Matt, Nik, Hannes, Schuppi und Benni.


Jamaram


Text: Claudia Borgwardt

Bilder: Claudia Borgwardt (ausser Bandfoto: Pressefreigabe)

Mehr zu Jamaram unter www.jamaram.de

Kalahassi Das Album "Kalahassi" (Soulfire Records) gibt es ab dem 29. März nicht nur im Internet oder in den einschlägigen Medienmärkten, sondern auch beim Plattenhändler eures Vertrauens.

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