REPORTAGEN
Rumi
Wolf Maahn

Am heutigen, eisig kalten, vom Winde verwehten Apriltag, um vierzehn Uhr, begrüsst mich Wolf Maahn zu unserem Interviewtermin, mit einer Entschuldigung, weil er schon mit dem Essen angefangen hat. Er erzählt von Terminen vorher und nachher und davon, dass er bis jetzt nichts gegessen hat und dies auch die einzige Möglichkeit bis zum Abend ist, überhaupt noch was zu essen. Das italienische Restaurant gefällt ihm, sagt er. Hier im Münchener Sendling, nicht weit von dem Italiener in dem wir sitzen, steht noch das Gymnasium, dass er besucht hat, erzählt Wolf Maahn, während ihm der Tintenfisch von dem hastenden, aber doch gastfreundlichen Kellner serviert wird. Der Fisch schmeckt ihm gut, meint Wolf Maahn, nachdem er von dem Tintenfisch gekostet hat und bevor er darum bittet, ihn nicht beim Schmatzen aufzunehmen. Vom Schmatzen ist, während er isst, nichts zu hören, aber als Maahn mit dem Essen fertig ist, bestellt er einen Espresso und zupft seiner Camel Light den Filter aus. Jetzt erfüllt auch das Aufnahmegerät seinen Zweck, wir beginnen mit dem Interview.

Wolf Maahn "Ich hab diesmal sogar versucht, während des Singens zu texten", berichtet Maahn von der Entstehung der Texte auf seinem neuen Album "Zauberstrassen". "Das erste Mal, dass ich das auch geschafft habe, hat ein bisschen damit zu tun, dass ich irgendwann auf die Seidenstrassen gestossen bin, die Kultur der Derwische und Rumi, dem grossen Dichter der Seidenstrassen. Er war wohl der erste, auf jeden Fall der bekannteste Derwisch und auch er hatte beim Tanzen und Singen seine begnadeten Verse von sich gegeben. Und er hatte Assistenten, die dann abends mit am Feuer sassen und mitschrieben, versuchten aufzuschreiben, ganz schnell, was der Typ beim Tanzen von sich gab", erzählt Maahn nachdenklich sinnend. Plötzlich verändert sich Maahns Gesichtsausdruck und aus nachdenklich wird ernsthaft. Wenn Maahn spricht, dann tut er dies nicht nur durch die Stimme, sondern alles an ihm spricht. Wenn seine Stimme sich erregt, drückt er das auch durch die Bewegung seiner Arme aus. Und am Gesicht kann man ablesen, was die Stimme nicht sagt. Seine Körpersprache fällt so ins Auge, weil Maahn dabei an einen Tanz erinnert. Die Bewegungen der langen Arme und Finger sind fliessend, schwebend, ruhig. Nicht ruckartig oder bedrohlich unkontrolliert. Jetzt ist Maahn ernst und aufgrund der plötzlichen Ernsthaftigkeit in seinem Gesicht, sieht es so aus, als wenn er sich dafür entschuldigen wolle, weil er einen Vergleich von sich zu Rumi gezogen hat. Nach einigen Schweigesekunden scheinen sich die Gedanken auf seiner Stirn geordndet zu haben.

"Ich will mich jetzt um Gottes Willen nicht mit Rumi vergleichen, aber ich habe versucht, genauer dieser Spur zu folgen. Du musst dir erstmal eingestehen, dass du durchaus auch erst mal fünf, sechs Fehlstarts haben kannst. Dann musst du den Song weglegen und eine grosse Hilfe ist mir natürlich auch immer mein kleines Büchlein, wo ich gute Zeilen reinschreibe. Manchmal nur zwei Worte, also Aphorismen, und wenn die Musik steht und die dann meist komplett fertig produziert ist, geh ich an dieses Buch und guck schon mal welche Zeile drückt diese Stimmung aus. Und mit diesem Anker fang ich dann an und geh ans Mikro und wiederhole die Zeile ein paar Mal, und so füll ich das dann immer mehr aus und stelle fest, dass selbst Sachen, die sich gar nicht reimen, so auf einmal funktionieren. Also bei "Kathedralen von Zahlen" zum Beispiel, reimt sich gar nicht mal so viel, und es hat sich noch keiner beschwert und mich stört es auch nicht". Rumis Verse reimen sich auch nicht immer. Doch trotz des Nichtimmerreims gilt Rumi als ein begnadeter Dichter und es wird in Büchern über ihn geschrieben: Poesie ist für Rumi die Aufhebung der Beschränkung und für Rumi liege die Wahrheit nicht im rationalen Bereich sondern in dem der Phantasie. Was Rumi in seinen "begnadeten Versen", wie Maahn sie nennt, in den Jahren 1207 bis 1273 erschuf, inspiriert heute den Herrn Maahn, der sich auch nicht auf den Reim beschränken lässt und statt dessen ungereimt "mehr Songs über Städte und Frauen", so lautete der Arbeitstitel für das neue Album "Zauberstrassen", erschafft und damit sichtlich glücklich ist.

Maahns Gitarre Maahn ist im Sommer 2004 ein Mann in den besten Jahren. Einer der Glück hat, dass mit dem Alter keine Falten kommen, sondern das Gesicht an Charakter gewinnt. Über dem Stuhl hängt eine schwarze Jacke, die er als seine "Glücksjacke" bezeichnet: "Wenn diese Jacke sprechen könnte..." Er zieht die Augenbrauen hoch, weitet seine grossen, wachen, freundlichen, hellblauen Augen, grinst dabei verschwörerisch und schweigt. Um Maahns Hals hängt eine Kette von "dem Schmuckhersteller aus England, von dem selbst Keith Richards von den Rolling Stones seinen Schmuck bezieht". Der silberne Anhänger der Kette, der ein Anker darstellt, ist sehr auffällig und einzigartig. Es ist "sowas ähnliches wie Bernstein", erklärt Maahn. Auf der linken Hand trägt Maahn zwei seltene Silberringe, mit schwarzem Stein und auf der rechten ein kettenartiges Armband, ebenfalls aus Silber. Jetzt sitzt Maahn aufrecht und entspannt auf der Holzbank des Italieners, bestellt den zweiten Espresso und rupft einer weiteren Camel Light den Filter aus. Der Kellner kommt sogleich mit dem Espresso in der Hand zurück zum Tisch. Da sitzt ein jung Gebliebener. Die schwarze Lederhose achtzigerjahreeng, beschmückt wie in den Sixties, und an der lockigen Frisur mit den grauen Schläfen wird sich wahrscheinlich nie etwas ändern.

"Die Musik, die hat einfach was sehr, sehr Positives. Schau mal, wir wissen, dass Blues von den Baumwollfeldern kommt und mit Leiden zu tun hat, aber eben nicht nur. Es gibt auch Bluesformen, die sehr viel Freude oder Dankbarkeit ausdrücken. Wenn ich von Glück rede, dann ist für mich bestimmt der Schlüssel zum Glück die Dankbarkeit, in jedem Fall. Und ein Thema, auch bei meinem englischsprachigen Album "Third language", etwas das bei mir immer wieder rauskommt. Letztlich das gute alte Thema: "Be thankful for what you´ve got", dieser Soulklassiker, den ich übrigens auch sehr liebe. Je eher du mit deiner Seite zufrieden bist und nicht auf das grüne Gras der anderen guckst, um so eher kannst du dich wohl fühlen. "Mach es Deins", ruft Maahn aus, seine Hände und sein Gesicht unterstreichen das Gesagte, bevor er seine Stimme senkt und wieder ruhig weiterspricht: "Das ist natürlich auch das Thema des Songs "Mach es Deins". Viele Leute sind in ihrem Zustand unzufrieden, weil sie sich dies oder jenes besser vorstellen. Das ist ja auch alles schön und gut, aber wenn man dadurch so unzufrieden wird, dass man nicht mehr glücklich sein kann, dann gilt die Devise: "Mach es Deins". Sag es: das ist meins. Wie in der Zeile: 'Manche wollen die grosse Liebe, sind ständig auf Entzug, sag: ich liebe was ich kriege und das ist schon ziemlich gross genug'. Das vergessen viele, das vergess ich auch selber, das ist auch bestimmt eine Art Selbsttherapie. Die Musik sagt mir das einfach immer, legt mir die Worte fast schon in den Mund. Ja, die Musik, die sagt genau das". Auf dem Album "Zauberstrassen" macht Wolf Maahn seine eigene Version, der sich nicht immer reimenden Rumi Dichtung wahr und unterstreicht damit seinen Song "Mach es Deins".

Wolf Maahn "Das ist das Verrückte bei den Songs", weiss Maahn, "diese unlogische Art wie Kunst, Musik usw. entsteht. Die Musik war fertig und ich hatte das was ich immer zuerst habe, so eine Art Kauderwelsch, irgendeine Art von Vers, der noch nicht wirklich irgendwas sagt und beim Singen hab ich dann Zeilen gefunden: 'warte nachts am Übergang, der Brücke zu deinem Traum' und der Refrain war wie geschaffen für einen Frauennamen, die ich dann immer "Karima" nannte. Ich wusste aber nicht wirklich warum. Klang einfach gut so, hab ich gedacht. Und so zwei Wochen später hab ich gemerkt, dass mich unbewusst eine Reportage bei Arte beeindruckt hat. Eine Dokumentation über die französischen Trabantenstädte, wo sehr viel Nordafrikanische Menschen leben. Wo diese Kluft zwischen fanatisierten und eher lieblosen Moslems sich besonders auftut. Und da, in dieser Dokumentation konkret, ging es um eine algerische Mutter, die verzweifelt war, weil sie den Kontakt verloren hatte zu ihrer fanatisierten Tochter. Und mich hat das sehr bewegt", spricht dies der bewegte Poet, Mitgefühl sein Gesicht verrät, bevor er weiter erzählt: "Die Entfremdung, die Verzweiflung der Mutter. Und ich glaube eigentlich, dass ich in die Rolle der Mutter schlüpfe, wenn ich das singe und eigentlich die Tochter ansinge. Das ist mir irgendwann klar geworden".

Wolf Maahn Das Cover des Albums "Zauberstrassen" zeigt Maahn mit ausgebreiteten Armen auf einem Dach, hoch über Köln. "Ich fühl mich wie ein Verkehrspolizist, der irgendwie den Verkehr lenkt. Es geht mir darum, die Strasse für die Menschen wieder zurückzuerobern. Es hat damit zu tun, dass man die Autos mal ablenkt, irgendwo anders hinschickt. Dadurch stehe ich auf dem Cover über den Häusern. Aber das kannst du ja auch, bildlich gesprochen, erreichen indem du tanzt. Tanzen war für mich immer auch ein wichtiger Bestandteil von Musik", erzählt Maahn von 1982, als er DJ im Do it, "dem Kölner Laden", war. "Und da kam immer Freitags, immer zur selben Zeit, eine Frau auf die Tanzfläche, und die hat getanzt wie man`s nicht gesehen hat. Alle standen da und haben nur noch geguckt". Die Frau, die die Steine zum Tanzen brachte, wie es in einem Lied der "Zauberstrassen" heisst, ist es und darüber lacht Maahn laut auf: "Daher kommt vielleicht wirklich dieses Lied... na ja, und die packte nach einer halben Stunde ihren Mantel und ging wieder raus. Die war über den Dächern, auf jeden Fall".

Ob Rumis Tanz auch über den Dächern war, wie der, von der Frau, die die Steine zum Tanzen brachte, davon steht nichts in den Büchern. Jedoch steht geschrieben, dass man die Derwische aufgrund ihres Tanzes, bei dem sie sich in Ekstase versetzten, "die fliegenden Derwische" nannte. Einige Wochen nach dem Interviewtermin bin ich auf einem Wolf Maahn Konzert in der Münchener Georg Elser Halle. Maahn trägt seine Glücksjacke auf der Bühne, vor ihm ein Mikro und um seinen Hals eine weisse Gitarre. Gesammelt und ausgelassen zugleich wirkt er. Zur vorgerückten Konzertstunde legt er dann seine Gitarre ab und fängt an zu hüpfen, sich immerzu im Kreis zu drehen, mit geschlossen Augen zu tanzen. Einige Zeit dreht er sich im Kreis, bevor er die Augen wieder öffnet und das Publium gross ansieht. Fast scheint es als wenn er von der Anwesenheit der Leute überrascht ist, als wenn er eben gar nicht dagewesen wäre.

Wolf Maahn 2004


Text: Ivana Curak

Bilder: Christian Biadacz

Mehr zu Wolf Maahn unter www.wolfmaahn.de

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