REPORTAGEN
Wie geil ist das denn?

Ich rufe Olli Schulz auf dem Handy an, um einem Termin mit ihm auszumachen. "Alles klar", sagt er. Ich solle "was Schönes" über ihn schreiben, aber jetzt könne er nicht soviel reden, da er auf dem Weg zum Konzert sei. Er spielt im Vorprogramm von Paul Weller. Uuh, da geniesst einer das auf die Kacke hauen total. Paul Weller war Frontman von The Jam. Einstmals ein Top Ten Dauergast. Heute ist der das in England noch immer. Die Verabredung für den nächsten Tag in Berlin geht klar. Ich lege auf und stelle ihn mir, lässig in den Rücksitz eines Mittelklassewagens gedrückt, vor, das Handy in der Hand, SMSen schreibend, in denen steht, dass er keine Zeit hat SMSen zu schreiben, weil wegen Paul. Ich hatte noch gefragt, wie das mit Weller denn zustande kam. Aber Olli Schulz wiegelte verschwörerisch ab. Sein Label Grand Hotel van Cleef habe so seine Beziehungen. Wie dem auch sei. Das schien mir genau der Olli Schulz zu sein, den ich nach dem Hören seines ersten Albums "Brichst Du mir das Herz, dann brech' ich Dir die Beine" erwartet hatte.

Zum einen war da natürlich der Titel und Lieder wie "Küss mich schnell bevor du platzt", zum anderen eine gewisse Tiefe. Hinter all dem Klamauk, der da vordergründig verkauft wird, hörte ich einen Musiker heraus, der es ernst meint. Der Eindruck festigte sich nach der Lektüre des zweiten (!) Booklets der CD. Dort lässt er sich, ganz im Sinne der Pop-Literatur, über seine Pop Historie aus. Was ihn prägte, wie das mit der Musik anfing und wie er ins Musikbusiness kam: "Die meisten erzählen ja immer, dass ihre erste Platte schon von den Ramones, The Clash oder Slime war, weil sich das cooler anhört. Profilierungsgeile Honks, denk ich dann meistens. Ich war damals mehr so der Rick Springfield-, Wham- und Billy Joel-Typ. Das sind jetzt noch ganz humane Vertreter meiner damaligen Musikleidenschaft. Über meine extremen Geschmacksverirrungen lege ich den Mantel des Schweigens." Hier ist jemand, der sich ausserhalb einer Coolness, die auf andere wirken will, bewegt. Jemand, der keine Angst hat missverstanden, vielleicht schon eher, zu ernst genommen zu werden. Aber am Ende waren es nicht die Absichten oder das Konzept, die Olli Schulz interessant machten, sondern die hervorragenden Lieder. Klassisches Songwriting, das die neuen Kleider seiner Königsgeneration sichtbar machen will.

Bügel Olli Schulz spielt an unserem Abend mal nicht vor Paul Weller, der jedoch auch in der Stadt ist, sondern vor Wir sind Helden. Die sind gerade das heisseste deutschsprachige Eisen und proben mit ihrer Bläser-Formation, mit der sie zu ihrem Berliner Homecoming Konzert erstmals live auftreten wollen. "Aurèlie" ist zu diesem Zeitpunkt bereits ihre dritte Hitsingle. Eine weitere soll mit "Denkmal" folgen. Einige Leute einer Videoproduktion hecken bereits geeignete Einstellungen aus, um am Abend Material für den dazugehörigen neuen Clip zu schiessen. Olli ist backstage und übt mit Max Schröder, der sich Der Hund Marie nennt, die Songs. Es ist der erste Konzertabend des wiedereröffneten Clubs Huxleys Neue Welt. Das Gebäude stand eine Weile leer und ist jetzt wieder fein herausgeputzt. Im Saal selbst ist alles weiss getüncht, die Verzierungen mit Blattgold hervorgehoben und an der Decke hängt blitzeblanke Beleuchtungstechnik. Alles ist neu. Die Gläser sind unbenutzt, das Parkett ohne erkennbare Gummiabreibungen und die Kleiderbügel in der Garderobe haben noch keinen Stoff berührt. Alles ist sehr stilvoll, sehr edel gehalten. Nur hinter der Bühne hat man sich mit dem Nötigsten zufrieden gegeben. Die Wände sind raufaserweiss und kahl. Da ist nicht mal Schmutz dran. Atmosphäre ist Fehlanzeige. Vielleicht die einer Kühlraumanlage.

Bruce In einem dieser weissen Räume mit Tischchen, zwei Stühlen, Minikühlschrank (allerdings noch leer), Kleiderstange und angeschlossenem Klo erhebt sich Olli Schulz zur Begrüssung. Auch Max Schröder steht von seinem Stuhl auf. Am Boden liegen ihre beiden Gitarren und ein Haufen Klamotten. Auf dem Tisch liegt die neue Bruce Springsteen CD "The Essentiell", die sich Olli Schulz gerade gekauft hat. Springsteen ist ein grosser Einfluss für ihn. Er widmet ihm die erste Geschichte seines Booklets: "Ich tu's für Bruce", und das erste Lied "Weil die Zeit sich so beeilt", in dem er für Trennungsschmerz eine wirklich pop-literarische Metapher findet: "Und Bruce spielt wieder ohne E-Street Band". Springsteen, der ehrliche Rocker. Ein Mann, der mit Schweiss und Arbeit assoziert wird, einer aus dem Volk für das Volk. Einer von uns. Also, von den Amis natürlich, aber ein wenig auch von uns allen. So will Olli Schulz auch gesehen werden. Zumindest was die Ehrlichkeit angeht: "Meine Idee war halt, 'ne ehrliche Platte aufzunehmen, die ruhig so ein bischen einen kindlichen Aspekt hat, so 'ne Ehrlichkeit," erzählt Schulz mit dem Hinweis auf das Layout des Albums, das wie ein Kinderlexikon der Sechziger Jahre daherkommt, mit Tierzeichnungen. "Und Tiere sind ja sehr ehrliche Lebewesen, sag' ich mal, die verstellen sich ja nicht so wie Menschen. Das Ganze sollte so ein bischen kindlich, unschuldig wirken. Und das fand ich ganz gut, niedlich meinetwegen auch." Die Worte sprudeln aus Olli Schulz heraus, fast hektisch, ohne Pause, ohne Luft zu holen. Äusserlich ist er jedoch sehr relaxed. "Jeder Mensch kann mit Zynismus arbeiten," sprudelt es weiter, "oder sarkastisch sein, und das machen so viele, find' ich so, oder spielen irgend 'ne Rolle. Was weiss ich, Rammstein zünden sich auf der Bühne an, oder die einen machen das und das, aber ich wollte natürlich was Witziges machen, natürlich keinen Seelenstriptease, auf alle Fälle was Ehrliches. So eine 'Ehrliche Haut' Geschichte, so ein bischen. Die gute alte Wolf Maahn Nummer aus den Siebzigern, als der Krautrock noch ganz oben war. Das ist jetzt Quatsch. Das stimmt natürlich nicht."

Olli Schulz

Doch jetzt ist erst mal Zeit für den Soundcheck, Max Schröder ist schon mal vorgegangen. Er ist im Gegensatz zu Olli Schulz Präsenz nicht vorhanden, ganz der schüchterne, introvertierte Künstler. Wenn er redet, ist das sehr ruhig, fast leise. Er überlegt unter dem Namen Der Hund Marie ein Soloprojekt zu machen. Ob ich das albern finde? Na ja... "Wir haben uns in einer sehr interessanten Zeit unseres, ahem meines Lebens kennengelernt", erzählt Olli Schulz, "zu der Zeit hatte ich nicht unbedingt allzu viel zu verlieren, um das jetzt nicht zu weit zu vertiefen, aber es war ok so." Hier hört die Geschichte abrupt auf. Vielleicht hätte er das lieber unerwähnt gelassen, aber die Neugier ist geweckt. "Es war einfach so, dass sehr viele Umstände in meinem Leben passiert sind," beginnt er einen spannenden Satz, "die einen, wie es bei jedem Menschen ist, aufwühlen lassen, oder irgendwie das Leben anders sehen lassen. Bei mir waren einige extreme Sachen passiert. Und dadurch kriegst du natürlich auch den Mut, ich glaube, Thees (Uhlmann, sein Labelchef, d.A.) hat mal irgendwann zu mir gesagt, ahem, wenn junge Männer brennen ensteht grosse Kunst. Und das hat er so gemeint. Und so war das auch." Kein Seelen-Striptease.

Olli Schulz und der Hund Marie Kennengelernt haben sich die beiden Hamburger auf jeden Fall als Schulz in die Wohnung neben Schröder zog und, anfangs ohne Telefon, immer seinen Nachbarn besuchte um zu telefonieren. Da bei Schröder immer eine Gitarre herumstand, schnappte sich Schulz die und sang ihm seine neuesten Lieder vor. "Irgendwann hatte ich dann genug Lieder vorgespielt, dass Max sagte, komm, lass ma' 'ne Platte machen", meint Schulz. Er ist die eindeutig die Rampensau der beiden. Während Schröder sich auf der Bühne mit Gitarre und Verstärker beschäftigt ist, flachst Olli Schulz mit dem Beleuchter in seiner süffisant ironisch überheblichen Art: "Mach uns mal schön Licht hier!" Auch ohne Publikum zieht er seine Show ab. Er unterbricht, macht Witze, nutzt jede Situation um sie zu kommentieren. Er hat etwas von Mike Krüger in jung. Das hängt vielleicht mit seinem fliehenden Kinn zusammen, das die Nase hervorhebt, vor allem aber mit den Kalauern, die an jedem Satzende lauern. Er ist so gar kein Rockstar. Die Jeans hängt total unvorteilhaft an den Hüften, die adidas Trainingsjacke ist eine Imitation, und die Turnschuhe sind wirklich abgelatscht. Zudem hat er andauernd leicht Schweiss auf der Stirn. Das macht ihn jedoch nicht unsympathisch oder zum Hänfling. Olli Schulz stellt trotzdem etwas dar. Er hat Ausstrahlung. Da steckt eben ein wenig Bruce in ihm. Hätte er ein Hemd an, er würde es wahrscheinlich hochkrempeln.

Zurück im Backstage-Raum hat sich das Selbstdarstellerische wieder zurückgefahren. Es gibt etwas zu essen. Über Schulzens Laptop läuft die Springsteen CD. "Wir müssen da sehr früh anfangen," erzählt Schulz über die Gigs mit Paul Weller, "das ist halt so richtig Rock and Roll Business. Paul Weller ist ja seit zwanzig Jahren im Geschäft, und die nehmen das halt alles sehr ernst, und, ahem, Paul Weller ist ein ganz grosser Künstler, ohne Frage so, aber das läuft da halt alles ein bischen anders. Wir gehen immer, kurz nachdem die Türen geöffnet wurden, auf die Bühne, spielen da vor Leuten, die gerade so ankommen, noch gar nicht richtig in der Halle sind, und dann stehen wir da, und dann haben die natürlich auch noch nicht die Ruhe um sich das anzugucken. Und dann stehen die da und denken, was ist das denn für ein Dödel vielleicht, oder so. Also, Pfiffe haben wir noch nie bekommen, das ist schon mal ein gutes Zeichen, weil, ich glaube, selbst die Leute, die uns gut finden, sehen, dass man da wenigstens was macht, was Ehrliches. Die finden vielleicht, das ist nicht mein Typ da, ich finde das auch nicht gut was der macht, aber so 'ne Akzeptanz sollte eigentlich bei jedem, wenn man nicht gerade Böhse Onkelz Fan ist, bei jedem Menschen da sein." Sein Handy klingelt. Er sei jetzt in einem Interview, es gehe gerade nicht: "Das ist jetzt auch völlig unwichtig, mit Paul Weller." Augenzwinkern.

Olli Schulz Draussen beginnt sich die Halle langsam zu füllen. Ein Kleiderbügel nach dem anderen feiert sein Debut. Durch die Menge stapfen Wir sind Helden, die von einer Aufzeichnung für Sat 1 zurückkehren. Einige vorwitzige Fans begrüssen sie natürlich mit "Guten Tag!" Freundlich wird im selben Wortlaut zurückgegrüsst. Die Anwesenden sind begeistert, dass die Band sich so Fan-nah gibt. Doch die verschwinden hinter die Bühne und konfrontieren Olli Schulz mit der ausverkauften Halle. Leicht hektisch greift er zur Gitarre und stellt sich vor: "Mein Name ist Olli Schulz und ich spiel euch jetzt ein paar Lieder." Er hat die Leute unheimlich schnell auf seiner Seite, macht sich über den Rockstar-Habitus lustig, unterbricht Lieder, erzählt eine Anekdote und bringt sie dann mit Applaus zum Ende. Er fordert die Aufmerksamkeit des Publikums, kriegt sie und gefällt. Max Schröder tut das Seinige dazu und erklimmt die Bühne in einem Hasenkostüm.

"Es war am Anfang einfach so eine emotionale Sache," resümiert Schulz, "dass ich was machen wollte. Und es war noch kein grosses Ziel dabei. Von wegen, ich werd' jetzt der geilste grosse Entertainer, oder wir machen 'ne super fette Show und gehen derbe ab in die Charts. Wir wollten einfach auf Tour gehen, den Leuten das mitteilen und mal gucken was dabei 'raus kommt. Aber auch irgendwie die Konsequenz in Kauf nehmen, dass man vielleicht vor 500 Leuten steht, die alle denken das ist ein Spasdi. Aber dann sich selber zu sagen, wir haben's wenigstens gemacht. Und wenn die das alle doof finden, dann ist das jetzt auch egal so. Für uns haben wir's getan."

Schulz und Schröder


Text: Christian Biadacz

Bilder: Sandra Heckeroth

Mehr zu Olli Schulz und der Hund Marie unter www.olli-schulz-online.de

Brichst Du mir das Herz, dann brech' ich Dir die Beine Die CD "Brichst Du mir das Herz, dann brech' ich Dir die Beine" (Grand Hotel van Cleef) gibt es nicht nur im Internet oder in den einschlägigen Medienmärkten, sondern auch beim Plattenhändler eures Vertrauens.

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